Klimaschutzrechtliche Fragestellungen auf Schuld- und Strafzumessungsebene: Eine juristische Analyse

Nachdem im ersten Teil der Reihe die Rechtfertigungsebene im Kontext von Klimaschutzstraftaten erläutert und im zweiten Teil der Reihe in die Problematik des zivilen Ungehorsams eingeführt wurde, setzen wir uns im dritten Teil der Reihe mit der Frage auseinander, ob rechtswidrig begangene Klimaschutzhandlungen auch zu einer Strafbarkeit der jeweiligen Aktivist:innen führen. Dabei geben die folgenden Ausführungen einen Überblick zu den bisherigen Ansichten der Rechtsprechung und Literatur.

I. Schuldebene

In Deutschland wird die Straffähigkeit einer Person in drei Stufen geprüft: Es muss der Tatbestand sowohl objektiv als auch subjektiv erfüllt sein (1), die Tat muss rechtswidrig (2) und schuldhaft sein (3). Nur wenn alle drei Stufen gegeben sind, kann die Person strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Infolgedessen führt eine rechtswidrig begangene Tat nicht automatisch zu einer strafrechtlichen Verurteilung (und deren Vollstreckung). Vielmehr muss nach dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip[1] die Schwere der Schuld auch nachgewiesen worden sein. Schuldhaft handelt, wer das verwirklichte Unrecht persönlich zu verantworten hat.[2] Zu prüfen ist demnach die Schuldfähigkeit und ob das Verhalten ausnahmsweise entschuldigt ist.[3]

1. Schuldausschließungsgründe

Beteiligen sich Kinder unter 14 Jahren an Protestaktionen, sind diese gem. § 19 StGB schuldunfähig. Weitere grundsätzlich denkbare gesetzliche Schuldausschließungsgründe ergeben sich nach Maßgabe der §§ 20 f. StGB. Diese geschriebenen gesetzlichen Schuldausschließungsgründe liegen im Allgemeinen bei den Handlungen der Klimaaktivist:innen nicht vor.

2. Entschuldigungsgründe

Neben den in der Regel nicht eingreifenden Schuldausschließungsgründen sind grundsätzlich auch Entschuldigungsgründe denkbar.

a) Entschuldigender Notstand § 35 Abs. 1 StGB

Das zumeist von der Rechtsprechung als rechtswidrig angesehene Handeln[4] der Klimaativist:innen könnte nach Maßgabe des entschuldigenden Notstandes i.S.d. § 35 I 1 StGB entschuldigt sein.[5]

Wie auch die Rechtfertigungsgründe nach den §§ 32, 34 StGB erfordert der Entschuldigungsgrund gem. § 35 I 1 StGB zunächst eine Notstandslage. Damit sich die Klimaaktivist:innen auf eine taugliche Notstandslage berufen können, muss in erster Linie eine gegenwärtige Gefahr für die abschließend genannten Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit für sie selbst, ihre Angehörigen oder andere ihnen nahestehende Personen tatsächlich bestehen.

Unter Berücksichtigung der von Klimawissenschaftler:innen veröffentlichten Forschungsergebnissen wird der menschengemachte Klimawandel zu einer, in ihrem Ausmaß noch nicht geklärten, Veränderung der Umweltbedingungen führen, auf die sich die menschliche Zivilisation einstellen muss.[6] Als Folge der globalen Erwärmung lassen sich bspw. Naturkatastrophen wie Extremwetterereignisse und Überschwemmungen, Artensterben, Kriege und Fluchtbewegungen anführen. Diese schädigen die natürlichen Lebensgrundlagen wie bspw. Biodiversität, fruchtbare Böden und Wasser, insgesamt und betreffen unmittelbar jedenfalls das Kollektivrechtsgut Klima.

Im Unterschied zu § 34 StGB sind Kollektivrechtsgüter jedoch nicht erfasst; vielmehr nennt § 35 I 1 StGB abschließend die Notstandsgüter Leib, Leben und Freiheit. Infolge der fortschreitenden globalen Erwärmung werden zumindest auch mittelbar diese Rechtsgüter beeinträchtigt – durch Überschwemmungen oder Waldbrände werden schon jetzt Menschen in ihrer Fortbewegungsfreiheit oder körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt oder sogar getötet. Die steigende Durchschnittstemperatur korreliert mit einem verschlechterten Allgemeinzustand für Risikogruppen, wie alte Menschen oder chronisch erkrankte Personen.

Allerdings muss diese Gefahr für den eigenen Leib, das eigene Leben und die eigene Freiheit bzw. die von einer nahestehenden Person i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen und zudem auch gegenwärtig sein. Ob in den jeweiligen Fällen für die jeweils handelnden Klimaaktivist:innen schon eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 35 Abs. 1 StGB anzunehmen ist, ist fraglich:

So zeigen sich zwar Auswirkungen des Klimawandels auf Wetter- und Klimaextreme schon jetzt auf der gesamten Welt. Laut dem diesjährigen IPCC Bericht[7] wird sich die globale Erwärmung nicht auf das im Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5°C-Ziel begrenzen, wenn die Staaten ihre Emissionsreduzierungen nicht deutlich verstärken. Der Unsicherheitsbereich der kritischen Grenzwerte der sog. Kippelemente, also der Eis- und Permafrost-, Strömungs- und Ökosysteme, wächst mit der steigenden globalen Erwärmung.[8] Es steht der Gegenwärtigkeit indes grundsätzlich nicht entgegen, dass die Kipppunkte noch nicht erreicht wurden. Vielmehr kann die erwartete Gefahrenverwirklichung, aufgrund der unzureichenden globalen wie auch nationalen Maßnahmen zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens, nur durch sofortiges Handeln abgewendet werden.[9]

Allerdings müssen die schon derzeit global stattfindenden Extremwetterereignisse eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts an den oben genannten Rechtsgütern zu dem Tatzeitpunkt vermuten lassen. Dabei kann jedoch gerade nicht voraussagt werden, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts genau die jeweilig handelnden Klimaaktivist:innen bzw. deren nahe Angehörige treffen würde; zumal die Gefahrenlage ja schon bei Tatbegehung bestehen müsste.  

Mithin muss wohl schon mangels tauglicher Notstandslage ein entschuldigender Notstand nach § 35 Abs.1 StGB ausscheiden.

b) Übergesetzlicher entschuldigender Notstand

Grundsätzlich denkbar ist auch ein ungeschriebener Entschuldigungsgrund aus dem übergesetzlich entschuldigenden Notstand. Allerdings ist dieser Entschuldigungsgrund ultima ratio und nur in extremen Ausnahmesituationen von Lebensbedrohungen anwendbar, wenn § 34 StGB mangels Interessenabwägung und § 35 StGB mangels tauglichen Notstandsguts nicht eingreifen; so wird die Anwendung bspw. in Dilemma-Situationen eines Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeuges diskutiert.[10] Solche Fallkonstellationen sind bei den typischen Handlungen der Klimaaktivist:innen sehr unwahrscheinlich, weshalb sich auch dieser Entschuldigungsgrund nicht strafbarkeitsausschließend auf die Handlungen der Klimaaktivist:innen auswirkt.

c) Irrtümer auf Schuldebene

Ferner existieren auch Irrtümer in tatsächlicher (sog. Sachverhaltsirrtümer) oder rechtlicher (sog. Wertungsirrtümer) Hinsicht, die sich grundsätzlich strafbarkeitsmildernd oder –ausschließend auswirken, vgl. § 17 S. 1 und 2 StGB sowie § 35 Abs. 2 S. 2 StGB. An einem Irrtum in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht seitens der Klimaaktivist:innen bestehen indes grundsätzlich Zweifel. Zumeist gehen die Teilnehmer:innen von Maßnahmen für den Klimaschutz davon aus und sind sich dem Risiko bewusst, dass sie strafrechtlich für ihre Handlungen verfolgt werden können. Dies impliziert, dass sie sich bei Begehung der Maßnahmen nicht über deren Ausmaß und Tragweite irren, sondern diese bewusst in Kauf nehmen.[11]

Infolgedessen wirken sich auch Irrtümer auf Schuldebene in der Regel nicht zugunsten der Klimaaktivist:innen strafbarkeitsausschließend oder –mildernd aus. Die Klimaaktivist:innen handeln infolgedessen regelmäßig auch schuldhaft und sind daher für ihre Handlungen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

II. Ebene der Strafzumessung

Allerdings können Umstände, die in der Abwägung auf materiell-rechtlicher Ebene nicht einbezogen werden konnten, zuletzt auf Strafzumessungsebene berücksichtigt werden.[12] Der:die zuständige Richter:in muss für die Bemessung der Strafe die Umstände, die für und gegen den:die Täter:in sprechen, gegeneinander abwägen, wobei § 46 Abs. 2 S. 2 StGB einen nicht abschließenden Katalog an Umständen bereit hält. So sind etwa die Beweggründe und (Fern-)ziele, das Vorleben sowie die Gesinnung des:der Angeklagten, die Art der Tatausführung und das Nachtatverhalten zu berücksichtigen. Überdies sind verfassungsrechtliche Wertungen in die Abwägung mit einzubeziehen, so bspw. die Bedeutung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit aus Art. 8 I, 5 I GG sowie die Staatszielbestimmung des Umweltschutzes aus Art. 20a GG, wie auch dessen einfachrechtliche Konkretisierung durch das KSG.[13] Auch kann berücksichtigt werden, dass viele der Protestierenden in eine real drohende und zum Teil auch schon existierende existenzielle Notlage hineingeboren wurden, ohne die Chance zu haben, an der Ausgangslage etwas verändern zu können. [14]

Theoretisch besteht im Einzelfall die Möglichkeit, das Verfahren aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO einzustellen. Dies kann entweder durch die Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren oder durch den:die jeweilig zuständigen Richter:in im Zwischen- oder Hauptverfahren erfolgen, vgl. jeweils die Absätze 1 und 2 der §§ 153 ff. StPO.

Hervorzuheben sind das Absehen der Verfolgung bei Geringfügigkeit gem. § 153 StPO sowie unter Erteilung von Auflagen und Weisungen gem. § 153a StPO. Zudem besteht die Möglichkeit einer Teileinstellung bei mehreren Straftaten gem. § 154 StPO sowie eine Beschränkung der Verfolgung gem. § 154a StPO.

Neben einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 153 ff. StPO obliegt dem:der Richter:in auch die Möglichkeit, wenn die Strafe im unteren Kriminalitätsbereich liegt, neben einer gerichtlichen Schuldfeststellung von einer Verhängung der Strafe zunächst abzusehen, vgl. § 59 StGB.[15]

Besonders wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass diese Entscheidungen immer eine konkrete Frage des Einzelfalls sind und im Ermessen des:der jeweilig zuständigen Staatsanwalts:Staatsanwältin bzw. Richters:in liegen.

III. Fazit

Derzeit sehen die Rechtsprechung sowie die Mehrheit der Stimmen in der Literatur die rechtswidrigen klimaaktivistischen Maßnahmen als schuldhaft und daher strafbar an. Etwaige, im Einzelfall in Betracht kommende, mildernde Umstände wie die Tatmotive und Fernziele, das Nachtatverhalten sowie ein geringer Sachschaden können auf Ebene der Strafzumessung berücksichtigt werden, sodass den einzelnen Aktivist:innen im Einzelfall nur eine geringere Strafe treffen kann.


[1] Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Auflage 2017, § 10 Rn. 2; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 15. Auflage 2023, § 24 Rn. 1f.

[2] Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 15 Rn. 195.

[3] Freund, in: MüKoStGB, 4. Auflage 2020, Vorbm. § 13 Rn. 133.

[4] Siehe dazu Blogbeitrag Teil 1 https://www.climateclinic.de/beitraege/8rsfujbxb0xzuy125ayx9f0v9jtk3n.

[5] Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Auflage 2023, § 35 Rn. 1.

[6] Bönte, HRRS S. 166 f.

[7] Zu finden unter https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/.

[8]https://www.pik-potsdam.de/~stefan/Publications/Kipppunkte%20im%20Klimasystem%20-%20Update%202019.pdf (zuletzt abgerufen am: 16.08.2023).

[9] Bönte, HRRS 2023, S. 166 f.; Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 34 Rn. 7.

[10] Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Salinger, StGB, 6. Auflage 2023, § 35 Rn. 54 f.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 32 ff. Rn. 113.

[11] Siehe bspw. https://letztegeneration.org/rechtliches/ sowie Pressemitteilungen der Letzten Generation, unter https://letztegeneration.org/presse/pressemitteilungen/.

[12] Vgl. die Ausführungen von Rönnau hinsichtlich des zivilen Ungehorsams: Rönnau, JuS 2023, S. 115.

[13] Busche, KlimR 2023, S. 107.

[14] Busche, KlimR 2023, S. 107; Theurer, Klimaschutz und Gewalt, S. 28.

[15] Bußmann, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 2. Auflage 2020, § 59 Rn. 1.

📸 Foto von Markus Spiske auf Unsplash

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